Lucio Gallo zählt seit mehr als vier Jahrzehnten zu den prägenden Baritonen der internationalen Opernszene. In Leipzig widmet er sich nun Verdis spätem Genie-Streich »Falstaff«. Ein Gespräch über Neugier als künstlerisches Prinzip, über Genuss und Disziplin - und über die Kunst, sich selbst nie zu ernst zu nehmen.
»Falstaff« ist Verdis letzte Oper – ein Werk voller Witz und Weisheit. Was reizt Sie heute an dieser Partie, vor allem im Vergleich zu Macbeth, Boccanegra oder Iago?
Ich empfinde die Partie des Falstaff als eine Art Kompendium aller von Verdi geschriebenen Baritonpartien. Es ist die Partie mit den meisten Nuancen und der größten Klangfülle in Verdis Repertoire. Eine echte Herausforderung für jeden Interpreten.
In Leipzig arbeiten Sie mit dem neuen Generalmusikdirektor Ivan Repušić zusammen. Wie beeinflusst seine Leitung am Pult Ihre Interpretation des Falstaff?
Ivan ist ein ausgezeichneter Dirigent. Durch seine sorgfältige Koordination traten neue kleine Details hervor, die meine Interpretation der Partie zweifellos bereichert haben. Ich glaube, die Oper Leipzig hat mit seiner Ernennung zum Generalmusikdirektor eine fantastische Wahl getroffen.
Die Neuproduktion wird von Marlene Hahn inszeniert. Was ist ihre zentrale Idee, und gab es einen Moment während der Proben, der Sie wirklich überrascht hat?
Ich habe sehr gut mit Marlene zusammengearbeitet. Sie ist intelligent, gut vorbereitet und professionell. Ihre Herangehensweise an die gesamte Besetzung war reizvoll. Am faszinierendsten an ihrer Regie fand ich ihren Wunsch, Verdis Meisterwerk eine sehr »choreographische« Vision zu verleihen. Sie hat Falstaff in die Gegenwart übertragen und sich um die kleinsten Details gekümmert, wobei sie der Besetzung präzise Anweisungen für ein erfolgreiches Ensemblespiel von Shakespeares Komödie gegeben hat.

Falstaff ist überlebensgroß – stimmlich und emotional. Wie verkörpert man diese Vitalität, ohne in Klischees zu verfallen?
Nach mehr als 200 Aufführungen, aufgeteilt zwischen den Partien des Ford und des Falstaff, besteht das Geheimnis gegen Routine darin, mir die Neugier auf den Zugang zu bewahren – als wäre es jedes Mal das erste Mal.
Sie haben Charaktere voller Widersprüche dargestellt – Dunkelheit, Tiefe und Humor. Gibt es persönliche Erfahrungen, die Ihnen helfen, sie zu lebendigen Menschen statt zu »Rollen« zu machen?
Ein Sänger muss auch Schauspieler sein, und deshalb vermeide ich es, die Charaktere, die ich spiele, mit meinen persönlichen Erfahrungen zu überfrachten, aber gleichzeitig sorge ich dafür, dass sie mein Wesen durchdringen und mich bereichern, wie es nur Kunst und Musik können.
»Ich nehme mich selbst nie zu ernst.«
Wie würden Sie Ihren Sinn für Humor außerhalb der Bühne beschreiben? Und wie viel von Lucio Gallos eigenem Wesen findet man in Falstaff?
Ich habe seit meiner Jugend einen ausgeprägten Sinn für Humor, und genau deshalb identifiziere ich mich mit der Figur des Falstaff. Der große Unterschied zwischen mir und ihm ist, dass ich mich selbst nie zu ernst nehme.
Falstaff schwelgt in Vergnügungen, doch das Leben eines Sängers erfordert Disziplin. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Genuss und der asketischen Seite Ihres Berufs?
Ein Sänger muss beim Umgang mit seinem Instrument eine gewisse persönliche Integrität wahren, aber gleichzeitig glaube ich, dass das Privatleben nicht zu sehr beeinträchtigt werden sollte. Ich liebe es, das Leben in all seinen Facetten zu leben, und deshalb: Ernsthaftigkeit und Professionalität, ohne das wirkliche Leben zu sehr zu opfern. Nach einer Vorstellung bin ich wieder Lucio und widme mich meiner Frau Diletta und meinen Töchtern Alma und Flaminia. Sie helfen mir dabei, mich daran zu erinnern, dass ich letztlich »nur ein Sänger« bin (lacht).
Sie haben mit vielen der weltweit größten Dirigenten und Regisseuren zusammengearbeitet. Gibt es ein künstlerisches Prinzip – ein persönliches Credo –, das Sie immer leitet, egal wo Sie sind?
Die Möglichkeit, meine Karriere unter der Leitung der renommiertesten Dirigenten der Welt zu verfolgen, hat mich zweifellos zu einem besseren Künstler gemacht, aber meine künstlerische Vision ist immer mit der Person verbunden, die für mich ein Mentor und eine Art spiritueller Führer war: Maestro Elio Battaglia. Wenn ich auf eine 43-jährige Karriere zurückblicken kann, in der ich in den größten Theatern der Welt unter der Leitung wahrer Dirigentenidole aufgetreten bin, dann verdanke ich das ganz ihm und seinen unschätzbaren Lehren.

Wie erleben Sie den Tag einer Premiere – vom ersten Kaffee bis zum Moment, in dem Sie die Bühne betreten? Haben Sie bestimmte Rituale?
Ich frühstücke ausgiebig. Zum Mittagessen esse ich regelmäßig Spaghetti mit Butter und Parmesan, und ich mache immer das Gleiche: kleine, banale Rituale, die ich aus reinem Aberglauben nicht verraten werde.
»Falstaff« erinnert uns daran, das Leben nicht zu ernst zu nehmen. Wenn Sie Ihrem jüngeren Ich einen Ratschlag geben könnten, welcher wäre das?
Als junger Mann war ich ausgesprochen impulsiv. Rückblickend würde ich diesem etwas ungestümen jungen Mann raten, sein Verhalten zu mäßigen und mit einem nüchterneren Blick auf seine Umgebung zu blicken. Das ist jedoch unmöglich, und letztendlich bin ich auch dank meiner Vergangenheit der Mensch, der ich heute bin.
Was hoffen Sie, dass das Leipziger Publikum nach dieser Premiere mit nach Hause nimmt?
Zunächst einmal hoffe ich, dass es unsere sechs Wochen Arbeit voll und ganz zu schätzen weiß, dass es von der großartigen Musik von Verdis Falstaff erfüllt wird und dass es mit einem Lächeln nach Hause geht, in der festen Überzeugung: »Tutto nel mondo è burla« (Alles auf der Welt ist ein Scherz).
- Giuseppe Verdi
- Premiere
Falstaff
Oper Sa. 11.10.2025 | 19:00 | OpernhausEinführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer
- Giuseppe Verdi
Falstaff
Oper So. 19.10.2025 | 17:00 | OpernhausEinführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer
- Giuseppe Verdi
Falstaff
Oper So. 30.11.2025 | 17:00 | OpernhausEinführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer. Mit Nachgespräch im Anschluss an die Vorstellung.
- Giuseppe Verdi
Falstaff
Oper Mi. 17.12.2025 | 19:30 | OpernhausEinführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer
- Giuseppe Verdi
Falstaff
Oper So. 18.01.2026 | 17:00 | OpernhausEinführung 30 Min. vor Vorstellungsbeginn im Konzertfoyer



