»Leipzig!... Here I am«

Ethel Smyth und Gustav Brecher – zwei mutige Stimmen in Leipzig
Nele Winter | Donnerstag 24.04.2025
Ethel Smyth (1858–1944) und Gustav Brecher (1879–1940)
Ethel Smyth (1858–1944) und Gustav Brecher (1879–1940) | © Wikimedia Commons

Zwei mutige Persönlichkeiten, zwei bewegende Biographien: Mit einer Lieder-Matinée erinnern wir am 1. Mai an die Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth und den visionären Operndirektor und Komponisten Gustav Brecher. Ihre Lieder sind ein eindrucksvolles Zeugnis ihres Engagements für Freiheit, Kunst und Menschlichkeit – und eine Hommage an ihre tiefe Verbundenheit mit Leipzig.

Als die junge britische Musikerin Ethel Smyth am 28. Juli 1877 erstmals Leipziger Boden betritt, sprüht sie vor Begeisterung und Tatendrang. »Leipzig! ... Here I am«, schreibt sie euphorisch an ihre Mutter. Endlich darf sie Kompositionsunterricht am renommierten Leipziger Konservatorium nehmen – als erste Frau überhaupt. Doch wichtiger noch als die offizielle Ausbildung ist für Smyth das reiche kulturelle Leben der Stadt. Sie besucht begeistert die Gewandhauskonzerte, spielt selbst Violine im Bach-Verein und präsentiert ihre eigenen Kompositionen in Hauskonzerten. Schnell bewegt sie sich selbstbewusst in den höchsten musikalischen und gesellschaftlichen Kreisen der Stadt, trifft Künstlergrößen wie Edvard Grieg und Johannes Brahms – und setzt sich dabei entschlossen gegen die gesellschaftlichen Vorurteile durch, denen komponierende Frauen zu dieser Zeit begegnen.

Die Anzweiflung weiblicher Fähigkeiten behindert Frauen sogar noch stärker als materielle Hemmnisse.

Ethel Smyth

Ethel Smyth, geboren am 23. April 1858 im Londoner Stadtteil Marylebone, entscheidet sich bewusst gegen ein Leben im konventionellen Rahmen. Sie rebelliert gegen die Erwartungen ihrer Familie, lehnt die Heirat ab und verfolgt konsequent ihre künstlerischen Ziele. Smyth ist nicht nur Komponistin, sondern auch Schriftstellerin und engagierte Frauenrechtlerin. Ihr berühmter »March of the Women« wird sogar zur Hymne der britischen Suffragettenbewegung. Smyth scheut keine Auseinandersetzungen – weder künstlerisch noch politisch – und kämpft ihr Leben lang leidenschaftlich für die Anerkennung weiblicher Kreativität und Gleichberechtigung.

Ein halbes Jahrhundert später prägt eine weitere engagierte Persönlichkeit das Leipziger Musikleben entscheidend: der Dirigent und Komponist Gustav Brecher, der 1879 im heutigen Tschechien geboren wurde. Ab 1923 ist er Generalmusikdirektor und künstlerischer Leiter an der Leipziger Oper und wird mit seinem mutigen künstlerischen Ansatz zu einem visionären Erneuerer. Brecher erweitert den Spielplan der Oper um zeitgenössische Werke wie Ernst Kreneks »Jonny spielt auf« oder Kurt Weills »Der Silbersee«, die den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge sind. Brecher wagt zudem ein kühnes Projekt: Er plant erstmals, sämtliche vollendeten Opern Richard Wagners in chronologischer Reihenfolge aufzuführen – eine Idee, die die Oper Leipzig in ihrem Festival »Wagner 22« im Jahr 2022 umsetzte und sich damit auf Brechers Erbe stützte.

Brechers Einsatz für moderne Kunst macht ihn jedoch zur Zielscheibe der Nationalsozialisten, die ihn 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung und seines Engagements für vermeintlich »entartete Kunst« aus dem Amt drängen. So nimmt Brechers Schicksal eine tragische Wendung: Er flieht ins Ausland und nimmt sich im Mai 1940, gezeichnet von Angst und Verfolgung, zusammen mit seiner Frau und deren Mutter im belgischen Ostende das Leben. Doch sein Wirken bleibt unvergessen. Noch heute erinnert die Oper Leipzig mit einer nach ihm benannten Probebühne und einem Stolperstein vor dem Opernhaus an den jüdischen Musiker, der für künstlerische Freiheit kämpfte.

Beide Persönlichkeiten – Ethel Smyth und Gustav Brecher – verbindet ihr Mut, ihre Entschlossenheit und ihre kompromisslose Haltung. Smyth setzte sich mit Nachdruck gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung ein, während Brecher vehement für künstlerische Freiheit kämpfte. Ihre Biographien erzählen nicht nur von musikalischen Höhenflügen, sondern auch von gesellschaftlichem Engagement und Zivilcourage in schwierigen Zeiten.